Gefühlt leben wir in einer Zeit, in der jeden Tag neue Innovationen angepriesen werden. Über den tatsächlichen Nutzen für die Allgemeinheit lässt sich sicher oft streiten – doch manchmal werden Dinge entwickelt, die tatsächlich eine Auswirkung auf viele Menschen haben: Der NHS (National Health Service) realisierte gemeinsam mit dem NIHR Manchester Miomedical Research Centre ein neues Verfahren, das allein in England jährlich 180 Neugeborene vor einem schweren Hörverlust und damit einer späteren Versorgung mit einem Cochlea Implantat bewahren kann.
Hörverlust als geringeres Übel
Eine Infektion kann für Neugeborene tödlich enden. ÄrztInnen müssen hier schnell handeln: Innerhalb von einer Stunde wird dann in der Regel das Notfallmedikament Gentamicin verabreicht. Den allermeisten Babys ist damit geholfen. Doch man weiß auch: An einem kleinen Teil der Patienten hinterlässt das starke Antibiotikum Spuren. In England sind es jährlich etwa 200 Kinder, die durch dieses Medikament einen bleibenden, schweren Gehörschaden entwickeln – und zwar immer dann, wenn das Baby eine bestimmte Genvariante in sich trägt. Doch dieses Gen zu finden, dauerte bisher zu lange, um mit der Vergabe des Notfallmedikaments zu warten – eine klassische Triage-Situation.
Schnellverfahren erkennt Anfälligkeit für Hörschädigung
Ein neues Verfahren, das der britische NHS (National Health Service) gemeinsam mit dem NIHR Manchester Biomedical Research Centre entwickelte, verkürzt die Suche nach diesem Gen nun drastisch: Innerhalb von 25 Minuten soll mit einem sogenannten Genedrive-System herausgefunden werden können, ob das Neugeborene eine Anfälligkeit in sich trägt. So kann innerhalb der kritischen 60 Minuten herausgefunden werden, ob die Vergabe des Notfallmedikament dem Baby schadet und die Infektion lieber alternativ behandelt werden sollte.
Neuer Gentest bewahrt jährlich 180 Babys vor Gehörschäden
In England werden pro Jahr etwa 100.000 Neugeborene erfolgreich mit dem Medikament Gentamicin behandelt. Eines von 500 Babys trägt das Gen in sich, das zu dauerhaftem Hörverlust führen kann. Durch das neue Testverfahren könnten allein im Vereinigten Königreich 180 Kinder jährlich vor schweren Gehörschäden bewahrt werden. Auch auf Deutschland ließe sich das grob übertragen.
Welche Auswirkungen dieser neue Test auf das Wohl vieler Kinder haben kann, hat die Krankenpflegestudentin Mary aus Preston bei der Geburt ihrer Tochter am eigenen Leib erfahren: „Khobi wurde mit dem Darm außerhalb ihres Bauches geboren, was sie einem Infektionsrisiko aussetzte. Sie brauchte schnell Antibiotika. Der neue Gentest hat aber rechtzeitig gezeigt, dass sie durch Gentamicin anfällig für einen Hörverlust war. Also erhielt sie ein alternatives Antibiotikum, das ihr Gehör nicht beeinträchtigte. Heute geht es ihr gut, sie ist ein fröhliches, aufgewecktes Baby.“
Professor Bill Newman, Berater für Genommedizin und Professor für translationale Genommedizin an der Manchester University NHS Foundation Trust zeigt sich ebenfalls begeistert: „Dieser Test wird jetzt in drei unserer Trust’s Neonatal Intensive Care Units genutzt – und er wird tatsächlich einen echten Unterschied machen. Durch ihn werden Babys ihr Gehör nicht länger aufgrund eines vermeidbaren Risikos verlieren. Die Studie demonstrierte, dass diese schnellen Gentests in ein klinisches Umfeld integriert und innerhalb der „goldenen Stunde“ durchgeführt werden können, in der betroffene Babys mit Antibiotika behandelt werden müssen.
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Quellen:
Teaser-Bild: Foto von Rene Asmussen: https://www.pexels.com/de-de/foto/nahaufnahme-der-hande-die-babyfusse-halten-325690/