Objektive versus subjektive Verbesserung
Im Mittelpunkt der Anwendungsbeobachtung standen diesmal weniger die audiologisch messbare Verbesserung durch die Nutzung von Hörgeräten, sondern der individuell eingeschätzte Nutzen für die Patienten. Diese Vorgehensweise in diesem Umfang ist einmalig.
Gemeinsam mit 195 Hörakustik-Fachbetrieben wurden mehr als 600 Schwerhörige nach ihrer jeweiligen Hörgeräte-Testphase befragt. Die Anwendungsbeobachtung entstand als Gemeinschaftsprojekt von Prof. Dr. Dr. Ulrich Hoppe, dem Leiter der audiologischen Abteilung des Universitätsklinikums Erlangen, und dem Verbraucherportal meinhoergeraet.de.
Die Befragungen wurden im Zeitraum April bis Oktober 2019 von den HörakustikerInnen in das Abschlussgespräch der Ausprobe in Zuge einer Versorgung integriert – mit großem Erfolg: Es konnten 554 valide Datensätze erhoben werden, die Aufschluss über die subjektiven Erfahrungen der Probanden während der Versorgungsphase geben.
Situationsabhängige Bewertung im Fokus
Die Bewertung erfolgte anhand alltagsrelevanter Situationen. Die Patienten machten sowohl Angaben, wie gut sie sich mit den Hörsystemen zurechtfinden als auch über ihr Souveränitätsempfinden, also ob sie sich in den jeweiligen Situationen sicherer fühlen. Spezifischer wurde es bei einer Reihe von Zusatzfragen, die eine Erhebung der individuellen und subjektiven Erfahrungen der Patienten ermöglichten, z.B. ob sie nach ihrer Erfahrung das Hörgerät vermissen würden, oder ob sich ihr Selbstbewusstsein gesteigert hatte.
Das Ergebnis der Studie kann sich sehen lassen: Neben interessanten Einblicken in die Gefühlswelt der Probanden während der Anpassungsphase konnten Szenarien ermittelt werden, die statistisch gesehen beim Patienten zur höchsten Zufriedenheit und somit zur idealen Versorgung führen könnten.
Komplexe Auswertung durch viele Parameter
Durch die Parametrisierung der Auswertungskriterien (sprich Zurechtkommen, Souveränitätsempfinden, Selbstbewusstsein und die Frage nach dem Vermissen) nach Grad der Hörminderung, Erstnutzer vs. Nutzer mit Erfahrung oder relevante Alltagssituationen, erlaubt die Studie eine Vielzahl von Erkenntnissen – darunter auch die Einflussfaktoren während der Ausprobungs- und Anpassungsphase.
Diese stellen wir Ihnen im ersten Teil der Auswertung vor.
Einfluss der Anpassungspraxis auf Zufriedenheit, Sicherheitsgefühl und Selbstbewusstsein bei Hörgeräteeträgern
Höchste Zufriedenheit nach 4 Anpassungssitzungen
97 % der Probanden fühlten sich nach vier Terminen sicherer und souveräner, 92 % selbstbewusster im Alltag. Sogar 98 % hätten ihre Hörgeräte nach vier Sitzungen vermisst. Wie wichtig die Anzahl der Sitzungen für die Zufriedenheit des Probanden ist, erkennt man am deutlichen Sprung von 55 % zufriedenen Patienten bei zwei Terminen auf 90 % bei 3 Terminen. Ab der 5. Sitzung nimmt das Niveau wieder stetig ab.
Hörgeräte sollten mindestens 3 Wochen getestet werden
Die Devise lautet: Mit der Dauer der Testphase steigt auch die Zufriedenheit der Patienten. Zwei bis drei Wochen sind für die meisten Patienten zu wenig, um sich an die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen: Fast ein Drittel von ihnen waren nach diesem Zeitraum unzufriedener. Anders sieht es ab 3 bis 6 Wochen aus: Hier gaben 95 % der Probanden an, dass sie ihre Hörgeräte vermissen würden. Dieser Trend blieb auch nach längerer Testdauer konstant. Bemerkenswert ist zudem die Tatsache, dass das Selbstbewusstsein im Alltag mit fortschreitender Testdauer immer weiter anstieg (nach 3 bis 6 Wochen auf 89 %, nach 8 Wochen auf 92 %).
3 Test-Hörgeräte sind ideal
Geht es um die Anzahl der zu testenden Hörgeräte, kann die Geräuschumgebung eine Rolle spielen. In lauter Umgebung erreiche die Zufriedenheit der Probanden nach 3 Testgeräten ihren Höhepunkt, in ruhigen Situationen stieg sie bei mehr als 3 Geräten noch einmal leicht an. Grundsätzlich konnte dennoch eine eindeutige Tendenz zu 3 Testgeräten ermittelt werden: 95 % der Patienten hätten danach ihre Hörgeräte vermisst, 92 % fühlten sich selbstbewusster im Alltag. Diese beiden Werte sinken ab dem vierten getesteten Gerät tendenziell wieder ab.
Ein Hörtraining kann sinnvoll sein
20 % der befragten Patienten absolvierten ein Hörtraining. Von ihnen gaben 90 % an, dass sich das Verstehen durch das Hörtraining in ruhiger als auch in lauter Umgebung verbessert habe. Für 92 % habe es zu einer besseren Eingewöhnung der Hörgeräte geführt.
Fazit zu Teil 1 der Hörgeräte-Studie 2019/2020
Die Studienergebnisse lassen Schlüsse zu, unter welchen Umständen die Zufriedenheit der Probanden während der Hörgeräte-Versorgungsphase am höchsten ist. Sie bilden sowohl für Hörgeräte-NutzerInnen als auch für HörakustikerInnen während der Testphase praktische Anhaltspunkte für eine bedarfsgerechte Anpassung.
Hintergrund und Basisdaten zur Studie
Das Verbraucherportal meinhoergeraet.de initiierte eine zweite Anwendungsbeobachtung in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Dr. Ulrich Hoppe, dem Leiter der audiologischen Abteilung des Universitätsklinikums Erlangen. Während es bei der Studie von 2017/2018 vordergründig darum ging, das Sprachverstehen in bestimmten Situationen und die Wahrnehmung der Umgebung festzustellen, wurde diesmal gezielt nach der subjektiven Wahrnehmung der Patienten gefragt.
Etwa die Hälfte (53 %) der Befragten hatten keine vorherige Hörgeräteerfahrung. Bei 170 (30 %) bestand die Schwerhörigkeit seit weniger als drei Jahren. Das mittlere Alter lag bei 72 ± 14 Jahren.
Im Mittel wurden pro Kunden 2,1 ± 0,9 Hörsysteme angepasst. Dies erfolgte im Mittel über 4,2 ± 1,5 Anpasssitzungen über einen mittleren Zeitraum von 5,7 Wochen. Die Gesamtzufriedenheit war sehr hoch: 95 % der Befragten fühlten sich besser mit den Hörgeräten, 88 % fühlten sich mit den Hörgeräten selbstbewusster im Alltag und 91 % gaben an, dass sie ihre Hörgeräte vermissen würden.
Weitere Erkenntnisse aus der Hörgerätestudie 2019/2020 werden wir demnächst publizieren